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Ein Aufschrei ging durch die Weinwelt, je nach Kontinent aus verschiedenen Motiven. Bei den amerikanischen Weinproduzenten war es ein Siegesjubel, sie hatten ihre Interessen bei den WTO-Verhandlungen mit Europa durchgesetzt. Jetzt kann sie auch bei uns anbrechen, die schöne neue Weinwelt, wie sie sich die großen Weinfabriken im Land der unbegrenzten Möglichkeiten vorstellen. Alles, was nun in Europa ebenfalls erlaubt werden soll (und praktisch muss), ist in den USA schon längst Gang und Gäbe.
 
Einen kleinen Vorgeschmack haben wir ja auch schon vor einiger Zeit bekommen. Ziemlich unauffällig, praktisch durch die Hintertür, kam die Mostkonzentration mit zwei Verfahren - zuerst klammheimlich, von Frankreich als Vorreiter, aber bald legalisiert - zur Anwendung. Mit zwei Methoden, der inversen Osmose und dem Vakuumverdampfen, können die Moste konzentriert werden. Schon da schieden sich gleich die Geister, sehr rasch wandte sich die überwiegende Mehrheit der interessierten Produzenten der Umkehrosmose zu.  Sicher nicht nur aus Geldgründen - kann doch, mittels Verdampfung von Wasser unter Vakuum, wirklich nur Most konzentriert werden, während die Umkehrosmose auch ein Konzentrieren von Wein möglich macht. Natürlich ist das nicht erlaubt - ein Schelm, der Böses denkt. Alle erdenklichen Argumente und Scheinargumente müssen herhalten, um diese doch recht kräftige Korrektur der Natur zu rechtfertigen. "Es sei doch viel ehrlicher dem Most Wasser zu entziehen, als Zucker zuzusetzen.", "Das diene doch ausschließlich dazu, um bei einer verregneten Ernte das Regenwasser wieder raus zu bekommen.", "Man könne ohnehin nur beste Moste konzentrieren, weil man ja bei schlechtem Material auch das Negative konzentriere.", "Das Gerät sei ja so teuer." etc. pp. Das ist bestenfalls die halbe Wahrheit, das letzte "Argument" angesichts von millionenteuren Keller- und Präsentationsbauten allenthalben ein Witz - ein VW Golf ist teurer. Die dicken Wuchtbrummen kamen plötzlich auch in schwächeren Jahren, sehr zu Herrn Parkers Freude und derer, die sich an diesen fruchtig-wuchtig-schokoladigen Dingern gar nicht genug sattkauen konnten. Leider gehörten und gehören neben R. Parker auch viele andere Journalisten und Weinkritiker zu dieser Gruppe. Irgendwie, so muss man sagen, scheint es ja doch schon ganz gut zu laufen. Noch hat kaum jemand konzentrierte, unreife Stoffe so richtig zu kosten bekommen. Ja, so ein Konzentrator ist schon was Feines, vor allem, wenn man dann ein bisschen "retuschiert", was bei Rotweinen etwas einfacher als bei Weißweinen geht. Die ersten Hemmschwellen fielen also schon vor Jahren.
 
Der andere Aufschrei, der europäische, war ein entsetzter - allerdings nur aus der Ecke der Qualitätsweinbauern mit ganz bestimmten Böden, der gebrannten Kinder und der Aufstrebenden, die sich, lange nach ihrem EU-Beitritt, jetzt weinmäßig zu Worte melden. Drei Staaten also haben, leider vergeblich, gegen das amerikanische Diktat gestimmt: Deutschland, Österreich und Portugal. Der Schrei der unbelehr- und beglückbaren" aufgeklärten Konsumenten, die voll Unbehagen sehen, was da auf uns zukommt, ist noch zu leise - vorerst.

Jetzt wird es erst so richtig schön, wenn die Segnungen der modernen Technik, Chemie und Physik auch beim Wein voll greifen dürfen. Da wird dann mit Eichenschnipseln (Chips), oder noch besser mit Holzpulver, der Wein parfümiert, um ein Spottgeld, aber dafür mit Leckergarantie, mittels Schönung zuerst Tannin entfernt und durch beliebiges aus dem Fläschchen ersetzt. Traubenkern-, Schalen- und Holztannine stehen zur Verfügung, noch viel leckerer in gekonntem Mix, und dann wird mittels Cassis-, Beeren- und Dunkelkirscharoma, nebst etwas Schokolade, der absolute Megaleckergipfel gestürmt. Gechipste Weine ("oaked" stand da auf dem Rückenetikett zu lesen) kennen wir auch schon länger, das sind die ganz tollen, die locker einen Château Latour ausstechen, um 3,99, mittleres Regal. Ach ja, zuviel Alkohol? Kein Problem, rein in die Spinning Cone Column (Schleuderkegelkolonne), zwar in der EU noch nicht erlaubt, aber eben auch nicht verhinderbar. Wenn´s gar zuviel ist, halt noch einen Schuss Wasser dazu, ist bis zu 35% ja gestattet. Bei der Gelegenheit den "Wein" noch ein bisschen weicher machen und den unerwünschten Jahrgangston  entfernen - soll doch immer gleich lecker sein und einen Markengeschmack haben. Und beim Riesling und Chardonnay? Da können wir die mickrigen Kandidaten so richtig fraktionieren (zerlegen), nach Lust und Laune etwas wegnehmen und/oder zugeben, dann zusammensetzen - den kennt danach der eigene Papa nicht mehr wieder.
 
Wie, das finden Sie gruselig, und vor allem haltlos übertrieben? Aber nein, es steht schon vor der Tür, morgen ist es da. Außerdem gibt es auch noch Fachleute (z.B. Frau Dr. Christmann, Delegierte des OIV), die sich vehement für das alles einsetzen, damit wir keinen Wettbewerbsnachteil haben, wir also unseren Wein dem globalisierten Einheitsgeschmack anpassen können. Die Argumente, warum das nicht so wild sei, warum eine Art "Reinheitsgebot" illusorisch sei, finde ich kurios! Es wird nämlich nur gedroht, dass dann Aufbesserung (Anreicherung der Moste mit Zucker), Entsäuerung, Aufsäuerung, manche Schönungen und die Zugabe von Schwefel infrage gestellt werden können. Na und, frage ich? DAS also ist es, was den Qualitätsweinbauern vor Entsetzen zittern lassen soll? Sicher, Großbetriebe sind zum Teil darauf angewiesen, sie bestreiten auch den Großteil der Exporte, und hätten hier tatsächlich Wettbewerbsnachteile zu gewärtigen. Was aber nichts daran ändert, dass engagierte Qualitätsbetriebe von den neuen Regelungen massiv negativ betroffen sein werden.

 

Schleuderkegelkolonne mittlerer Kapazität


 
Ein weiterer Leckerbissen: die Amerikaner haben vehement und erfolgreich dagegen angekämpft, dass diese Manipulationen angeschrieben sein müssen. Unter anderem mit der Drohung, bei Nichtannahme durchzusetzen, dass jeder europäische Weinexport in die USA nach einem extrem strengen, vor allem aufwändigen Food-Standard zertifiziert werden müsste.

Jaja, die Deklaration der Manipulationen wäre ja ein schwerer Wettbewerbsnachteil (!), Diskriminierung, der Konsument darf doch nichts davon mitkriegen..... Also lässt man in Zukunft die Produzenten mit "fairen" Mitteln gegeneinander antreten, der Eine im Labor, der Andere in der Steillage, natürlich um die 3,99 am Schluss, klar. Hier stehen die Verlierer, zumindest auf den größeren Märkten, von vorneherein fest. Es ist schon erstaunlich, wenn man bedenkt, was für ein Sermon in den USA überall draufstehen muss, bis hin zur nicht schleuderbaren Katze, nur im Falle von Wein diesbezüglich nichts. Halt, klar, Schwangere sollen nicht, Alkohol macht süchtig, Schwefel ist drin....aber nichts über Aromate und Co. Auch Glutamate wären da denkbar, es ist alles nur eine Frage der Zeit.
 
Tatsache ist, dass diese, vielleicht etwas überspitzt dargestellten Techniken und Praktiken innerhalb kurzer Zeit in Europa gestattet werden müssen. Natürlich haben diese Produktionsmethoden nicht nur schlechte Seiten: mit einfachen, mehr oder weniger genormten, auf einen bestimmten Geschmack getrimmten Weinen kann man viele Menschen für den Wein an sich gewinnen. Das soll beileibe nicht dem Alkoholgebrauch, schon gar nicht dem Missbrauch das Wort reden. Ist aber erst einmal Wein als bevorzugtes alkoholisches Getränk erkannt, so findet sich, früher oder später, ein wirklich interessanter Tropfen, der dann die Überleitung zum Feinschmecker oder Weinliebhaber bilden kann.
 
Hier nun setzt der Codex Wachau - die Charta des reinen Weines - ein, die am Donnerstag, dem 11. Mai, präsentiert wurde. Schon die Reden der drei Weinbauern, die den Vorstand der Vinea Wachau bilden, führten den Ernst der Stunde vor Augen. Konzentriert und voll sehr wohl berechtigtem Optimismus erklärte Franz Hirtzberger noch einmal die einzelnen Qualitätsstufen der Vinea Wachau, nämlich Steinfeder, Federspiel und Smaragd. Denn damit werden schon die Grundzüge der Charta-Weine beschrieben. Keine Aufbesserung, keine Konzentration, keine Zusätze, die Weine müssen trocken sein, Herkunft der Trauben aus der Wachau, Füllung in der Wachau. Diese Punkte werden schon jetzt streng kontrolliert. Zusätzlich beschlossen aber die 200 Mitglieder der Vinea Wachau, die 85% der gesamten Wachauer Weinfläche bewirtschaften, einstimmig noch strengere Kontrollen für die Zukunft. Zu diesem Zweck wurde die Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Weinbau weiter intensiviert. Die einzelnen Zusatzkontrollen (u.a. eine gesicherte Kontrolle des Aufbesserungsverbotes) kosten mehr Geld, aber die Sicherheit und Vertrauensbildung für die Konsumenten geht für diese Winzer kompromisslos vor. 

 

(vlnr)  Emmerich Knoll (Weingut Knoll% Vorstandsmitglied Vinea Wachau)% Mag. Barbara Schwarz (Bürgermeisterin von Dürnstein)% Dr. Erwin Pröll (Landeshauptmann von Niederösterreich)% Franz Hirtzberger (Weingut Hirtzberger% Vorstandsmitglied Vinea Wachau)% DI Toni Bodenstein (Weingut Prage‰ Vorstandsmitglied Vinea Wachau)279

Der Codex Wachau ist als ein Regelwerk zu verstehen, durch das die Weine das Gebiet und auch den Jahrgang detailgetreu widerspiegeln. In einer sehr emotionalen Rede hielt Emmerich Knoll ein Plädoyer für den "imperfekten" Wein. Was zuerst unsinnig klingen mag, ist absolut richtig. Erst die kleinen "Unebenheiten", Ecken und Kanten geben dem Wein Charakter, Kontur, Rückhalt, kurz, machen ihn zu einem echten Kind der Region, ergeben das so genannte Terroir. Perfekte, glatte, gestylte Weine, so Knoll, seien vielleicht für eine Weile beliebt, würden aber dann wegen ihrer Unpersönlichkeit langweilig. Natürlich ist eine hochtechnische Weinverarbeitung letztendlich eine erhebliche Vereinfachung für den Weinbauern. Auf der Strecke bleibt dabei der Charakter, die Persönlichkeit des Weines, und, wie ich meine, auch des Winzers. So ist für Knoll der sogenannt unbequeme Weg der einzig gangbare und mit ihm sehen das 199 Winzerkollegen so, vorerst für die Wachau. Diese freiwillige Selbstbeschränkung soll keine anderen Weine oder Produzenten diskriminieren, sehr wohl aber die größtmögliche Sicherheit, Vertrauenswürdigkeit und Eigenständigkeit der Charta Weine garantieren.

Auf diese Weise kann man den Input der Natur im Glas spüren, um es modern auszudrücken, diese Weine unterscheiden sich von den "gedopten" (Toni Bodenstein) erheblich. Die Wachau war schon bisher eine Region mit sehr eigenständigen Lagenweinen, die der interessierte Weinliebhaber sehr wohl unterscheiden kann. Dazu kommen noch markante Unterschiede hinsichtlich der Gegend um Loiben/Dürnstein, Weißenkirschen/Wösendorf und Spitz.

Und diese Vielfalt, bei aller Gemeinsamkeit, möchte die Vinea Wachau auch hinaustragen, sich mit anderen Regional- und Überregionalverbänden, auch einzelnen Winzern, zusammentun, mit der Charta des reinen Weines als Grundlage. "Charta des naturbelassenen Weines" träfe es vom Sinne her noch besser, wäre aber nicht ganz richtig, wenn man penibel sein will.

Schon jetzt werden auch Verbindungen mit interessierten Weinbautreibenden aus der Schweiz, Italien und, noch mit wenig Resonanz, Deutschland aufgenommen. Man kann nur hoffen, dass diese Charta mit den strengen Kontrollbestimmungen und Vorgaben gerade jetzt bei vielen europäischen Weinproduzenten und -verbänden Anklang findet. Denn die Bedrohung, die jetzt ins Haus steht, ist eine ernsthafte, weil für viele bald existenzielle. Daher sehen sowohl Vinea Wachau als auch zuständige Politiker diese Charta wertfrei, als Gut für alle, unter deren Dach ein solides Haus gebaut werden kann.

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