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Lassen wir uns vom Eindruck nicht täuschen, das Chianti Classico besteht nicht nur aus Castello di Ama, Felsina, Fontodi, Fonterutoli und Brolio. Der größte Teil der Rebfläche von insgesamt etwa 10.000 Hektar – davon rund 7.000 Hektar Chianti Classico, der Rest IGT – wird von mittleren und kleinen Winzern bearbeitet. Viele von ihnen kennt niemand, denn ihre Selbstvermarktung ist schwach. So wechselt immer noch rund ein Drittel des Chianti Classico als Fasswein den Besitzer.

Der Verkauf von Fasswein an die Abfüller war mal ein gutes Geschäft. Ende der 90er-Jahre und wieder im Jahr 2002 erhielten die Winzer für ihren jungen Chianti Classico umgerechnet erst 3,50 Euro und dann sogar fast 4,50 Euro pro Liter. Das war viel Geld, es reichte, um die Kosten zu decken und sich etwas auf die Seite zu legen.

Den traditionellen Bauernbetrieben mit wenigen Hektar Wein brachte der Weinbau die Liquidität, um Rechnungen zu bezahlen, die Olivenbäume bearbeitete man schon immer nur aus Pflichtgefühl und Tradition, die Tierzucht und der Garten dienten der Selbstversorgung. Auch größere Betriebe sahen sich angesichts der hohen Fassweinpreise nicht dazu gedrängt, die Selbstvermarktung zu forcieren.

Als die Weinpreise dann zunehmend dahinschmolzen, wurde es auch auf dem Flaschenmarkt rasch enger und eine Ausweitung der Selbstvermarktung schwieriger. Beim Export wurden die bestellten Mengen kleiner, fielen die Flaschenpreise, verschlechterte sich die Zahlungsmoral und stiegen die Vermarktungskosten (z.B. Reisen und Rabatte).

Gleichzeitig verdoppelten sich die Produktionskosten für die Weingüter in diesen 15, 20 Jahren. Der negative Trend erreichte im Sommer 2011 mit einem Fassweinpreis von bis zu 60 Cent für Chianti und 80 Cent pro Liter für den Chianti Classico seinen absoluten Tiefpunkt.

 

(Foto: Merum)

Strukturkrise folgt auf Absatzkrise

Der Punkt ist erreicht, an dem die schwächeren Betriebe alle ihre Reserven aufgebraucht haben, ihnen die Banken im Genick sitzen und die Hoffnung auf eine Verbesserung von der Einsicht in deren Aussichtslosigkeit sowie den offenen Rechnungen eingeholt worden sind.

Man hört von Weingütern, die mit den Löhnen der Arbeiter mehrere Monate im Verzug sind und von ihrer Bank aufgefordert werden, sich durch Verkauf von Immobilien oder des ganzen Hofs liquide zu machen. Einige zahlungsunfähige Weingüter sollen bereits zwangsversteigert worden sein. Zwischen Siena und Florenz stehen laut der Immobilienmaklerin Giuliana Grassi derzeit mindestens 20 Weingüter zum Verkauf, darunter auch berühmte.

Der Immobilienexpertin zufolge sind die Immobilienpreise in diesen Jahren um 20 bis 30 Prozent gesunken, bei gleichbleibender Situation könne der Wertverlust der Weingüter bald 35 bis 40 Prozent erreichen. Die Immobilienagenturen haben Hochbetrieb, Amerikaner, Schweizer, Deutsche, Australier, Kanadier, aber auch Chinesen besichtigen fleißig, was zum Verkauf steht. Es herrscht Schnäppchenstimmung bei den Käufern, auch wenn im Vergleich zur Zahl der Interessenten wenige Kaufabschlüsse zustande kommen. Das liegt daran, dass die Banken ihre Finanzierungslaune verloren haben, die Zinsen in Italien hoch (7-8%) sind und mancher Ausländer angesichts der Flut von Vorschriften und den angedrohten Steuern der – wenn auch inzwischen schon nicht mehr amtierenden – Monti-Regierung von einem Kauf absieht.

Was sich derzeit im Chianti und mehr noch Chianti Classico abspielt, geht nicht mehr als normale Krise durch, sondern hat strukturelle Folgen. Wo nicht dank einer tief verwurzelten Kommerzialisierung, massiver Selbstausbeutung bei Familienbetrieben oder Liquiditätszufuhr aus nichtbetrieblichen Quellen das landwirtschaftliche Unternehmen zahlungsfähig gehalten werden kann, herrscht Liquiditätsnotstand. Je höher die Verpflichtungen gegenüber den Banken, desto desolater die Lage.

 

(Foto: Merum)

Weshalb ausgerechnet der Chianti Classico?

Die Merum-Leser erinnern sich vielleicht an das Konsortiums-Projekt Chianti Classico 2000, über das in Merum seinerzeit detailliert berichtet wurde. Es wurde 1988 mit dem Ziel ins Leben gerufen, die Weinberge des Chianti Classico für die Qualitätsweinproduktion fit zu machen.

So prüfte man über 200 Sangiovese-Klone auf ihre qualitative Eignung, suchte nach geeigneten Unterlagsreben und klärte ab, welches die optimale Pflanzdichte sowie die besten Erziehungssysteme sind. Damals waren noch 5.000 der 7.000 Hektar neu zu pflanzen, die Ergebnisse kamen im letzten Moment: Erst Ende der 90er Jahre lieferte das Forschungsprojekt brauchbare Resultate.

15 Jahre sind seither vergangen. Der Weinabsatz florierte damals, die Preise waren hoch, die Winzer machten ihre Hausaufgaben und erneuerten, wie von ihnen erwartet, die Weinberge und brachten ihre Keller in Form. Und wenn man schon dabei war, steckte man auch ein bisschen Geld in die Gebäude und rüstete die Räume, die man nicht selbst benötigte, zu Vermietbarem um.

Keiner, der diese Investitionen aus seinen Ersparnissen finanziert hätte. Die Banken halfen bereitwillig mit Krediten, die Zumutbarkeit der Zinsbelastung wurde an den damaligen Einkünften gemessen. Die mageren Jahre schienen für immer vorbei, man rüstete sich für eine goldene Zukunft und träumte insgeheim von den berühmten Châteaux im Médoc.

 

(Foto: Merum)

Aber schon nach 15 Jahren war der Traum wieder vorbei. Selbst ohne Terrorismus und Finanzkrisen, selbst wenn der Toskana-Boom bis heute angehalten hätte, die Zeit war zu kurz, um die Appellation auf Vordermann zu bringen und die Investitionen abzuschreiben. Ein Weinberg sollte mindestens 30, 40 Jahre halten, eine neue Kellerrenovierung sollte ebenfalls nicht vor 25, 30 Jahren nötig sein. So wählte man Kredite mit langen Laufzeiten, denn auch die Banken waren von einer lange dauernden Hochblüte des Chianti Classico überzeugt.

Im Unterschied zur Classico-Kernzone sahen die umliegenden Chianti-Gebiete nie rosige Zeiten. Zwar stieg der Fassweinpreis auch dort Ende der 90er-Jahre mal auf umgerechnet gut 1,50 Euro pro Liter, aber weder dies noch die Flaschenpreise gaben je Anlass zu gewagten Investitionen. Demzufolge ist ihre Verschuldung auch viel geringer als die der Classico-Betriebe.

Die Nachfrage nach Chianti hat – auf noch tiefem Preisniveau – wieder angezogen, und auch in Montepulciano und Montalcino ist die Lage weit weniger angespannt als im Chianti Classico. Gut scheint es zudem den Morellino-Produzenten zu gehen und sogar blendend denen des Vernaccia di San Gimignano.

Weshalb hat es ausgerechnet den Chianti Classico so hart getroffen? Vielleicht müsste man die Frage andersrum stellen: Hätte es angesichts des Verhaltens der Produzenten anders kommen können? Seit man sich im Chianti Classico eines gewissen Erfolges erfreut, setzt man alles daran, die Marke Chianti Classico zu schwächen. Man investiert zwar in die Qualität, das ist den Leuten zugute zu halten, aber nicht in die Marke.

Es ist sinnlos, für die Marke Chianti Classico teure Werbung zu machen, wenn die grundsätzliche Frage „Was ist ein Chianti Classico?“ nicht beantwortet werden kann und wenn der Imagewein der Produzenten kein Chianti Classico, sondern ein Tafelwein ist. Mir ist kein einziges Weingut bekannt, auf dessen Preisliste der teuerste Wein ein Chianti Classico wäre. Überall wird dieser getoppt von einem sogenannten Supertuscan.

Es ist völlig einerlei, ob dieser Wein nun epochemachend gut oder einfach nur eine Barriquebrühe ist, entscheidend ist, dass man dem Markt mitteilt, dass die wertvollsten Weine der Appellation keine Chianti Classico sind. Die Konzentration des Images auf einzelne Betriebe und die Unattraktivität der kollektiven Marke sind eine todsichere Methode, eine Appellation auf Grund laufen zu lassen.

Und wie geht's weiter?

Der Chianti Classico, so wie er sich heute präsentiert, kommt von alleine nicht wieder auf die Beine. Solange die Winzer nicht verstehen, dass ihre Existenz auf Gedeih und Verderb mit der Marke Chianti Classico verknüpft ist und sie im Interesse seines guten Rufes auch mal auf ein bisschen Zuverdienst mit der Supertuscan-Spekulation verzichten, wird die Appellation auf keinen grünen Zweig kommen. Leider sagt den Winzern das keiner, aber entscheidend wäre, dass IGT-Weine nicht teurer sind als Appellationsweine.

Gut 24 Millionen Liter Chianti Classico, das entspricht 33 Millionen Flaschen, sind im internationalen Kontext eine lächerliche Menge. Der meiste Wein ist von guter Qualität, und seit einigen Jahren ist dank der neuen Kontrollen auch die Echtheit sichergestellt. Was sind schon 33 Millionen Flaschen? Nichts im Vergleich zum Umsatz eines internationalen Unternehmens.

Der Unterschied zwischen einem großen Weinhaus und einer Appellation wie des Chianti Classico ist, dass wir es nicht mit einer einzigen, entscheidungsfähigen Geschäftsführung zu tun haben, sondern mit 600 Winzern – davon 345 Abfüller plus eine Handvoll Kellereigenossenschaften – von denen jeder einzelne eine andere Meinung und vermeintlich andere Interessen hat und jeder beleidigt ist, wenn es anders läuft, als es den eigenen, momentanen Bedürfnissen dienlich wäre.

Die Beschlüsse des Konsortiums dürfen jeweils möglichst wenige dieser 600 Mitglieder verärgern. Dass dann politisch korrekte, aber Entscheidungen ohne jede Tiefe und Nachhaltigkeit wie damals das Verbot der weißen Sorten und stattdessen die Einführung von Merlot & Co. herauskommen, liegt in der Natur der Dinge.

 

(Foto: Merum)

Das Problem des Chianti Classico ist weder mangelnde Glaubwürdigkeit noch ungenügende Qualität, sondern einzig das selbstverpfuschte Marketing unter Beihilfe praktisch aller Produzenten.

Den Ausweg aus der Krise sollen nun ein paar Neuerungen bringen. So schlägt das Konsortium eine neue Topkategorie, „Selezione“, mit strengeren Produktionsregeln vor, die zu hundert Prozent aus selbsterzeugten Trauben gekeltert werden muss (Zukauf verboten). Diese „Selezione“ wird somit nur von Produzenten mit eigenen Weinbergen erzeugt werden können.

Daneben, oder besser darunter, steht die Riserva, für die nun vorgeschrieben werden soll, dass die Winzer die Bestimmung zur Riserva bereits bei der Weinlese zu deklarieren haben. Ein unverkaufter Chianti kann somit nicht mehr allein aufgrund des fortgeschrittenen Alters in die Riserva-Liga aufsteigen. Im Gegensatz zur Selezione darf die Riserva auch zugekaufte Ware enthalten, was sie zur Topkategorie der Abfüller prädestiniert.

Wie bisher steht in der Qualitätspyramide unter der Riserva der Chianti Classico DOC. Neu: Da man wegen der drei Millionen Liter Chianti Classico, die jedes Jahr übrig bleiben, offenbar in Panikstimmung ist, schlägt der Rat der Weisen die Schaffung einer neuen Zweitwein-Kategorie im DOC-Status vor. Ihre Sortenzusammensetzung und der Name sind allerdings noch zu bestimmen.

Positiv ist die geplante Vorschrift, dass Chianti-Classico-Fasswein zukünftig nur noch als zertifizierter DOCG-Wein transportiert werden darf. Dies schränkt die Möglichkeit dubioser Elemente ein, irgendwelche Provenienzen während des Transportes zu DOCG aufzuwerten.

In der Stunde der Not soll nun auch der Gallo Nero, tatsächlich eine der weltweit bekanntesten Weinmarken, wiederbelebt werden. Das Konsortium beabsichtigt, das Abbild des Schwarzen Hahns auf der Flasche obligatorisch zu machen.

Insgesamt sicher der Diskussion würdige Ideen. Aber das wahre Grundübel des Chianti Classico kann auch das beste Konsortium nicht an der Wurzel packen. Die Italiener, und noch mehr die Toskaner, sind unverbesserliche Individualisten. Appellation kommt aus dem Französischen, die Franzosen ticken anders, sie fühlen kollektiv, können sich gemeinsamen Interessen unterordnen. Der italienische Winzer schimpft aus Prinzip über das Konsortium, gut spricht er mit Vorliebe von sich selbst, und seinem erfolgreicheren Nachbarn dichtet er noch so gerne nächtliche Tankwagen aus Süditalien vor den Weinkeller.

Den Unterschied zwischen Burgund und Chianti Classico erkennt man, sobald man mit den Produzenten ins Gespräch kommt. Empfindet man im Burgund die Appellation als System, quasi als Organismus, dann kommt einem eine italienische DOC eher vor wie ein Hühnerhof mit ständig wechselnder Hackordnung.

Dem Konsortium oder einer Appellation gehört man nur an, weil man seinen Wein sonst nicht loskriegt. Sobald der eigene Erfolg größer wird als der Markeneffekt der DOC, tritt man aus dem Konsortium aus und deklassiert seinen Wein zu IGT. Wie aber sollen wir Konsumenten den Chianti Classico lieben – und kaufen –, wenn ihn die Winzer selbst als Zweitklassewein behandeln?

Ein gravierendes Manko der toskanischen Appellationen ist das Fehlen einer differenzierenden Ursprungsdefinition. Ohne a priori klassifizieren zu wollen, möchte ich als Chianti-Freund erfahren, ob der Wein von einer hochgelegenen Parzelle in Radda oder einer großen Anlage bei Poggibonsi kommt. Als Weinliebhaber ist mir diese Information etwas wert. Je identifizierbarer der Ursprung, desto wertvoller der Wein – so lehrt das Burgund.

Was den Toskanern bisher leider nicht einleuchten wollte: Nur dank der Grands Crus verkaufen die burgundischen Produzenten auch die einfachen Weine zu guten Preisen! In der Toskana konnte sich ein geographisch feingerastertes Bezeichnungssystem nie durchsetzen, weil jeder befürchtet, des anderen Weinberg könnte höher eingestuft werden als der eigene.

So bleibt denn alles beim Alten. Ein großer Weinsee namens Chianti Classico, die Abfüller werden die teureren Qualitäten als Riserva und die Winzer diese als Selezione anbieten. Es sind die Produzenten, die festlegen, welches der bessere Wein ist, sie klassifizieren ihre Weine selbst. Denn sie bestimmen, was Grand Cru – sprich: Riserva, respektive Selezione –, und was Appellation régional – sprich: Annata – ist. Mit dieser Bevormundung des Marktes verschenkt sich die Appellation Chianti Classico Attraktivität, auf die sie eigentlich angewiesen wäre.

 

(Foto: Merum)

Wen die Krise arm macht und wen reich…

Wenn die Kosten die Einkünfte übersteigen, dann muss vom Ersparten gelebt, sprich Kapital verbraucht werden. Diese Verarmung äußert sich nicht nur in verringertem Einkommen der Besitzer, sondern auch in zunehmend verschlechterter Zahlungsmoral gegenüber Lieferanten und Arbeitnehmern, in der Überalterung des landwirtschaftlichen Geräts und der Weinberge, in der Vernachlässigung von Gebäuden, in Kompromissen bei der Qualität, in Sparen an allem, was nicht unmittelbar dem Umsatz dient, in eingeschriebenen Briefen von der Rechtsabteilung der Bank und am Ende dem erzwungenen Verkauf des Besitzes.

Aber es gibt nicht nur Weinende, manche haben auch zu lachen. Die Weinhäuser florieren wie nie zuvor. Während an den Bauernhäusern der Putz blättert, bauen sich die Abfüller Weintempel. Je tiefer der Fassweinpreis, desto höher ihre Vermarktungschancen und Gewinne.

Auch manche große Produzenten mit starker Vermarktung kaufen Trauben und Wein zu. Der Zukauf ist Landwirtschaftsbetrieben bis zu 49 Prozent der Gesamtproduktion gestattet. Weingüter mit hoher Selbstvermarktung leiden kaum unter der Krise, wenn zusätzlich noch zugekauft wird, können die Verluste bei der Produktion und die gesunkenen Flaschenpreise durch billig eingekauften Wein ausgeglichen werden.

Was vermögen wir Freunde der Toskana für den Chianti Classico zu tun? Wir können mit unserem Kauf die Winzer unterstützen, deren Weine wir für gut und authentisch halten. Mehr geht nicht. Indem wir diese Weine kaufen, unterstützen wir die Winzer, die mit ihren Weinen zur Appellation stehen.

Des Weiteren müssen wir uns wohl langsam an den Gedanken gewöhnen, dass in den kommenden Jahren vermehrt unbekannte Gesichter, möglicherweise asiatischer Prägung, hinter altbekannten Etiketten stehen.

Dieser Beitrag wurde uns von der Merum-Redaktion zur Verfügung gestellt. Mehr über Merum, die Zeitschrift für Wein und Olivenöl aus Italien, erfahren Sie hier:
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