Trotzdem: es ist Mode, den einen oder andern Jahrgang schnell (meist vorschnell) abzuqualifizieren oder in den Genusshimmel zu loben. Die Jahrgänge 61, 82, 90 zum Beispiel verursachen beim Weinliebhaber glänzende Äuglein, während die 77, 87, 91 oder gar 97er Stirnrunzeln und säuerliche Gesichtszüge provozieren.
Soeben im Glas: Mission Haut-Brion - noch immer ein Genuss
Doch ganz so einfach ist es nicht: Ich habe schon 61er, 82er oder gar 90er Bordeaux getrunken, welche die 10 Jahre längst nicht erreicht haben, und andere - sogenannt kleine Jahrgänge - die nach 20 Jahren noch viel Freude und großen Genuss bereiten konnten.
Die einzelnen Châteaux sind auch gar unterschiedlich: durch: extrem scharfe Auslese, Konzentration, moderne Vinifikation, Ertragsreduktion etc., wird erreicht, dass immer seltener von guten oder schlechten Jahrgängen zu reden ist, sondern von guten und schlechten Weinen in guten und schlechten Jahrgängen.
1994 war so ein Jahr. Nach den klimatisch problematischen drei Vorjahren endlich eine bessere Situation für die Reben, mit frühem Austrieb, mittlerem Behang, heißem Sommer und erst während der Ernte schlechtes, nasses, kaltes Wetter.
Das Resultat: entweder sehr verschlossene oder dann magere, dürre, trockene Weine. Entsprechend waren die Bewertungen und Kommentare.
Heute: 12 Jahre später bietet sich ein weit differenzierteres Bild. Das Schlagwort: „minderer oder mittlerer Jahrgang”, ist zwar geblieben. Es gibt immer noch „verschlossene” Kerle, wie zum Beispiel den Léoville-Barton, der sich aber zusehends öffnet. Doch die meisten 1994er sind schon seit ein oder zwei Jahren ein Genuss.
Bereits treten aber wieder Auguren auf, die es ja so genau wissen und auf Grund von wenigen Flaschen (meist nur degustiert), ein pauschales Urteil fällen. Selbst bei Jahrgangsdegustationen beruft man sich auf ein paar wenige, momentane, vergleichende Eindrücke.
Meine eigenen 94er Erfahrungen beruhen immerhin auf 248 Bordeaux des Jahrgangs, die ich vor allem letztes Jahr konsumiert habe: nicht an Degustationen und nicht an Proben, vielmehr zu Hause, zum Essen, mit Freunden, allein oder in Gesellschaft - mindestens ein, oft aber auch mehrere Gläser. Und diese Weine verteilen sich auf 65 verschiedene Weingüter oder Abfüllungen (zum Beispiel Zweitweine).
Für mich der beste 94: Lafleur
Da meine ich, doch etwas präziser und differenzierter den Jahrgang bewerten zu können. Zumal darunter die großen Châteaux genau so vertreten sind, wie kleine, weniger bekannte Güter. Weine in der Preislage zwischen 10 und 300 Euro.
Wenn ich dabei zum Schluss komme, der Jahrgang 1994 liegt weit über dem ihm zugesprochenen Niveau, dann belegt dies mein „Weintagebuch”. Es gibt durchaus auch verschlossene Las Cases, Latour oder Léoville Barton, doch auch sie haben jetzt einen hohen Genusswert. Natürlich nicht so beiläufig probiert, auf die Schnelle, sondern erst nach dem Dekantieren und beim unvoreingenommenen Genießen...
Ich meine, darauf kommt es letztlich an. Spitzenvergleiche sind etwas für den Kopf, für die Kalkulation, für das Ego, das so gerne die Spitze abgrasen (Entschuldigung: abtrinken) möchte.
Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)