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Wenn Plinius der Ältere für einen Beweis herhalten muss, läuten bei mir alle Alarmglocken: Wo immer man nicht ganz sicher ist und über Zeiten rätselt, die 2000 und mehr Jahre zurückliegen, wird der Gelehrte, Feldherr und Verwaltungsbeamte aus der Zeit um Christi Geburt – oder zu Beginn unserer Zeitrechnung – zitiert. So soll auch er die ersten Hinweise auf besonders gute Weine aus dem Gebiet des heutigen Piemont geliefert haben. Nun – wer so viel über damaliges Weinwissen im umfassenden Werk „Naturalis Historia“ zusammengetragen hat, hat sicher auch zum Wein aus dem Piemont, dem Nebbiolo, etwas beizutragen. Und zitatfähig ist Plinius alleweil, hat er doch (wenn es stimmt) auch das Lieblingszitat vieler Weinliebhaber geprägt: „In Vino veritas“ („Im Wein liegt die Wahrheit“). Schon lange wollte ich aber wissen, ob ich die „Wahrheit“ eines guten Weins auch im Nebbiolo finden kann.

 

Piemont% wie wir es kennen – dort% wo der Nebbiolo zu Hause ist (Foto: P. Züllig)

Lange Zeit bin ich der Rebsorte, die eigentlich fast vor der Schweizer Haustür daheim ist, aus dem Weg gegangen. Irgendwie empfand ich die Weine aus dem Piemont (generell ausgedrückt) als voller Tannine und Säure, die die Frucht meist wegbeißen. Dann aber habe ich – vor gut einem Jahr – doch eine Weinreise in Piemont unternommen, auf gutes Zureden meines Freundes Peter, des Barolo-Liebhabers. Schon da bin ich dem Nebbiolo-Gebiet (und seinen Weinen) etwas näher gerückt. Jetzt aber hat mich ein anderer Freund – er heißt auch Peter (welch ein Zufall) – zu einer Nebbiolo-Probe eingeladen, und zwar nicht irgendwohin, nein, unter eine Zeder auf der Insel San Giulio im Ortasee. Einziger Wermutstropfen ist die Bemerkung auf der Einladung – dick und fett: „Nebbiolo senza Barolo“. Wo soll ich – Italien-Wein-Volontär – gute Nebbiolo-Weine finden, wenn Barolo (und wohl auch Barbaresco) ausgeschlossen sind? Spielregel der Verkostung aber ist: Mitbringen von einer oder zwei Flaschen zum Thema.

Zum Glück hat mir Wein-Plus geholfen und aktuell gute Tipps und Wertungen präsentiert: „BEST OF Piemonteser Nebbiolo jenseits von Barolo und Barbaresco: die noblen Unberühmten“. Ein willkommenes Zusammentreffen. Ich weiß jetzt wenigstens, wo ich suchen muss!

 

Die Parade der verkosteten Weine – inklusive Pirat (Foto: P. Züllig)

„Wer sucht, der findet.“ Das hat nicht Plinius gesagt, sondern ist wohl aus der Bibel bei Matthäus entlehnt. Und dort soll es etwa so weitergehen: „... und wenn er gefunden hat, wird er erstaunt sein und wird über all das herrschen.“ Herrsche ich jetzt über mein leicht erweitertes Nebbiolo-Wissen? Nein, noch lange nicht. Doch ich habe die Erfahrung gemacht (sowohl bei der Verkostung als auch bei der vorangehenden Erkundung für meine beiden Flaschen), dass Nebbiolo nicht (nur) tanninlastig und voller Säure ist, sondern auch fruchtig, elegant, aromatisch und, und... sein kann. Ich habe – in den Extremen – zwei Typen von Weinen gefunden: Power-Weine genauso aber auch schlanke, fruchtige, ja, filigrane Genussweine. Beispiele, bitte! Sie kommen gleich. Natürlich habe ich nicht 200 Weine verkostet, wie die strengen und geschulten Verkoster bei Wein-Plus. Meine Hochachtung für ihre Leistung.

Den Gattinara San Francesco von Antoniolo – in der BEST OF-Liste mit 91 Punkten bedacht – haben wir schon am Vorabend zur italienischen Speise auf einer Dachterrasse über den Dächern von Orta getrunken, allerdings den Jahrgang 2007. Erst jetzt lese ich die Notizen von Wein-Plus und kann diesen zustimmen: nachvollziehbar, schön formuliert, eigentlich viel (und noch mehr) als das, was mir beim Trinken durch den Kopf gegangen ist, ganz unwissenschaftlich, unbelegt, einfach beim Genuss von Wein zum guten Essen.

 

Genuss über den Dächern von Orta (Foto: P. Züllig)

Warum wohl haben wir, die kleine Gruppe, bei der ich zu Gast bin, schon beim ersten Treffen diesen Wein gewählt? Er gehört eben – wie so viele andere auch – zu den „üblichen Verdächtigen“, die Weinkenner aus jeder Weinkarte pflücken können. Wie aber steht es mit den vielen weniger bekannten Weinen, mit den „noblen Unberühmten“? Müssen sie alle warten bis zum Tag X, an dem sie (vielleicht) einmal berühmt sein werden? So lange kann ich nicht warten, meine zwei Flaschen müssen mit nach Orta, subito. Also bemühe ich den Faktor Zufall, und siehe da, ich werde fündig. Bei einem guten Weinhändler meiner Umgebung, der sich vor allem mit italienischen Weinen befasst, hat mir „Printi“ von Monchiero Carbone (Roero) besonders gut gefallen. Kein ganz Unbekannter, aber (noch) nicht im Scheinwerferlicht der „üblichen Verdächtigen“ bei Weindegustationen von Weinliebhabern, den sogenannten Laien, zu denen auch ich mich zähle.

 

Ein Power-Wein: „Printi“ von Monchiero Carbone% Roero (Foto: P. Züllig)

Ein „Power-Wein“, kräftig, aromatisch, mit Aromen von Himbeere, Brombeere, Zimt, Edelhölzern, aber auch mit nussigen, ledrigen, tabakigen Noten – alles ist da, doch von all dem etwas zu viel, Power-Wein eben. Allerdings – das muss ich anmerken – ist der Jahrgang 2009 für mich noch viel zu jung, einen gereifteren konnte ich leider nicht auftreiben.

 

Ein Genusswein: „Nebbiolo“ 2007 von I Vinautori% Veltlin (Foto: P. Züllig)

Ich habe geahnt, dass dieser Wein überzeugen wird. Kraft und Präsenz sind in solchen Fällen gefragt. Und so ist es auch – er hat unter den acht verkosteten Weinen den „zweiten Platz“ errungen. Damit wollte ich mich – schon im Vorfeld der Verkostung – keinenfalls zufrieden gegeben. Ich will unbedingt auch meine Vorstellung eines leiseren, vielschichtigen, filigranen Nebbiolo einbringen. In einer anderen Gegend – im Valtellina (Veltlin) – hat sich das bei I Vinautori (Die Weinautoren) konkretisiert: „Nebbiolo“ 2007. Es ist erst der zweite Jahrgang, der biodynamisch angebaut und so gekeltert wurde, gewonnen aus alten Reben (durchschnittlich 60 Jahre). Kein Kraftprotz, vielmehr ein „Autorenwein“ (I Vinautori) vom Winzerduo Stefan Keller und Piero Triacca, vinifiziert vom Tessiner Spitzenwinzer Christian Zündel (der den eigenen Betrieb schon lange auf biodynamisch um gestellt hat).

Und wieder ist es so gekommen, wie ich es geahnt habe. „Mein“ Nebbiolo rangiert am Schluss der Punkteskala: „Wässrig“ ist mir als spontaner Kommentar noch in Erinnerung, während es der Power-Wein an die Spitze geschafft hat. Doch es gibt sie, die feingliedrigen, nuancierten, „stillen“ Nebbiolo, die ihre Qualität nicht aus der Kraft schöpfen, eher aus der Aromen-Echtheit und Vielfalt. Es sind oft jene Nebbiolo, die im Lärm untergehen.

Ich bin für die Einladung der Weinfreunde unter die Zeder in Orta dankbar. Auch wenn ich noch immer die Weine aus der Rebsorte Nebbiolo als etwas tanninreich und mit recht viel Säure wahrnehme, beginnt sich das Nebbiolo-Bild in mir zu wandeln. Die „Erhabenen“ aus Barolo bekommen Konkurrenz. Es sind zwar keine Barolo-Geadelten, sie kommen aus anderen Nebbiolo-Gebieten, wie zu Beispiel aus Ghemme, wo wir noch rasch – vor der Degustation – zwei eigenwillige, (sehr) gute Winzer besuchen, die Brüder Rovellotti.

 

Paolo% einer der beiden Brüder Rovellotti in Ghemme (Foto: P. Züllig)

Ihr „Ghemme DOCG“ 2007 (85% Nebbiolo und 5% Vespolina) ist für mich ein weiterer Beweis, dass auf Vorurteile und einmal gemachte Erfahrungen wenig Verlass ist. Ich zitiere Marcus Hofschuster (Verkostungsleiter bei Wein-Plus): „So unterschiedlich die Stile auch sein mögen, eines haben die besten Weine all dieser weniger bekannten Nebbiolo-Appellationen gemeinsam: die betörende, herbe Frucht, die unterholzige, tabakige und manchmal teerige Würze sowie das unvergleichliche, rassige Tannin, für das wir den Nebbiolo lieben.“ Nein, für die herbe Frucht und die rassigen Tannine – zuzufügen wäre noch die dominierende Säure – liebe ich den Nebbiolo nicht: vielmehr für die eigenständigen, kleinen „Weinkunstwerke“ – nicht überholzt und nicht in Kraft erstickt –, die hier auch geschaffen werden, senza Barolo.

Herzlich
Ihr/Euer

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