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Was bis vor 70 Jahren in Weinbergen normal war, gilt heute als Besonderheit: Schafbeweidung. Dabei sind die vierbeinigen Wolllieferanten nützliche Helfer zwischen den Reben - und haben einen positiven Einfluss auf Bodenleben und Artenvielfalt.

Die Weidehaltung von Nutztieren war in den vergangenen Jahrhunderten einer der elementaren Grundpfeiler der Artenvielfalt unserer heutigen Kulturlandschaft. In Fell und Hufen, selbst im Kot verteilten Rinder, Schafe oder Pferde Samen, Sporen, Fruchtstände sowie kleine Insekten und Käfer. Sie sorgten für die Verbreitung unterschiedlichster Pflanzen und damit auch für die dichte Vernetzung dieser Biotope. Die Umstellung auf die ganzjährige Stallhaltung hatte somit großen Einfluss auf den Rückgang der Biodiversität.

Daher beschäftigt sich ein Forschungsprojekt der Hochschule für Forstwirtschaft in Rottenburg unter dem Namen „Win-Win im Weinberg“ schon seit 2019 mit der Frage, welche Vorteile sich durch Flächen-Extensivierung und Doppelnutzung ergeben. Dabei liegt es nahe, Erfahrungen aus der Landschaftspflege mit Schafbeweidung auch für die Weinberge zu nutzen. Landschaftspfleger wissen längst um die Eignung von Schafen zur Beweidung von ebenem bis zu steilem Gelände, von trockenen bis zu nassen Standorten und selbst für Böden mit geringstem Futterertrag.

Jean Raphael Buscher sammelt seit 2014 Erfahrung mit Schafen in den Rebzeilen. „Schon mein Vater hat mit extensiver Bodenbearbeitung einen humusreichen und belebten Boden gefördert. Diesen Weg wollten wir aufgreifen und erweitern“, erzählt der Winzer aus Bechtheim in Rheinhessen. Artenreiche und blühfreudige Begrünungen, Wildbienenhäuser und Lebensräume für Insekten legten den Grundstein. „Meine Ehefrau ist auf der Suche nach einer natürlichen Bodenpflege auf Schafbeweidung gestoßen. Sie hat sich intensiv eingelesen und informiert“, berichtet er von den Anfängen. Die kleine Herde von Ouessant-Schafen, einer französischen Zwergrasse, ist inzwischen auf 35 Tiere angewachsen. „Die Rasse gilt als robust. Diese Schafe haben ein Schultermaß von etwa 45 Zentimetern und eignen sich hervorragend für die Unterstockpflege. Die Tagesmenge an Grünnahrung, die ein Schaf verzehrt, ist für einen Weinberg genau passend.”

“Rhône Rangers” im Weinberg

Bereits seit zehn Jahren arbeitet man bei Tablas Creek in Paso Robles in Kalifornien mit Schafen in den Weinbergen. Das Weingut wurde 1989 von Jacques Perrin, Besitzer des Rhône-Weinguts Château de Beaucastel, und dem kalifornischen Weinhändler Robert Haas gegründet. Es gehört zu den Pionieren einer Bewegung, die in den späten 1990er-Jahren die Rebsorten der Rhône unter dem Namen „Rhône Rangers“ in Kalifornien populär machte. 350 Schafe umfasst die Herde, eine Mischung anspruchsloser heimischer Rassen wie Dorper, Kathadin und New Mexico Dahls, die an die Hitze in Kalifornien angepasst sind. „Seit 2010 arbeiten wir biodynamisch und wollten herausfinden, ob wir mit Schafen aus den Pflanzen im Weinberg auch eigenen Kompost machen können“, erzählt Jason Haas, der Sohn des verstorbenen Gründers. Es funktionierte. 2016 engagierten sie einen Vollzeit-Schäfer für ihr Projekt und machten die Schafbeweidung zum Kernstück ihrer regenerativen Bewirtschaftung. Der Betrieb verzichtet dabei auf Kupfer und verwendet Tees sowie Präparate zum Pflanzenschutz. 

Auch in der Champagne trifft man wieder auf Schafe in den Weinbergen. In der 86 Hektar großen Rebfläche von Moët Chandon grasen rund 220 Tiere der Rassen „Ile de France”, “Suffolk”, “Solognote”, “East for Merinos wool” und ebenfalls „Ouessants”. „Sie stehen sogar in den steilen Lagen. Die Schafherde gehört zum Programm “Natura Nostra”, das Moët Chandon 2021 ins Leben gerufen hat mit dem Ziel, Biodiversität zu fördern und mit regenerativer Landwirtschaft zu arbeiten.

Die Ziele hatte auch der VDP-Winzer Felix Prinz zu Salm aus Wallhausen (***) von der Nahe im Fokus, als er sich für Rinder in den Weinbergen entschied. „Durch die konzentrierte und kurze Beweidung wird das Wurzelwachstum angeregt. Die Rinder stehen nur für wenige Tage auf der gleichen Fläche. Das verbleibende vitale Gras fördert das Wurzelwachstum weiter. Durch den Dung-Eintrag werden Lebewesen im Boden wie Mykorrhiza gefördert und der Stoffwechsel und die Bodenfruchtbarkeit erhöht“, lautet Salms Ziel für die ungewöhnlichen Weidetiere in den Hängen am Scharlachberg bei Bingen. Noch wichtiger war ihm jedoch ein anderer Aspekt: „Sie produzieren den wertvollsten Dünger. Auch für die Biodiversität sind sie von unschätzbarem Wert. Der Dung einer Kuh ernährt unzählige Insekten - und auf diese Weise pro Jahr etwa drei Störche oder 350 Feldlerchen“.

Größere Artenvielfalt, mehr Humus und Biodiversität

Auch die Schafe haben einen nachweisbaren Einfluss auf die Artenvielfalt in den Reben. „Hier lohnt sich der Blick ins Detail“, erläutert Jean Raphael Buscher die Vorteile. „Schafe sorgen durch die Mitnahme von Samen in der Wolle für die Verbreitung von Pflanzen und so für Biodiversität. Die Artenvielfalt auf Flächen mit Schafbeweidung ist deutlich kleingliedriger und intensiver. Nicht nur die großen blühenden, auch viele kleine unscheinbare Pflanzen gedeihen in der Nähe von Schafen.“ Ganz nebenbei profitiert auch das Bodenleben von den tierischen Besuchern: „Unsere Schafe sind die Hälfte des Jahres in den Weinbergen und verteilen in dieser Zeit etwa 70 Tonnen Dung, und das ganz ohne Maschinen“, schwärmt der Kalifornier Jason Haas. Man beobachte eine bessere Wasserhaltefähigkeit durch den erhöhten Humusanteil – der ganz nebenbei auch noch viel CO2 bindet.

Zudem lassen sich damit viele Traktorfahrten sowie Arbeitseinsätze für Laubarbeiten und Bodenbearbeitung sparen. Das führt zu weniger Bodenverdichtung in den Weinbergen. Den Wuchs der Beikräuter in den Reben halten Schafe das ganze Jahr über niedrig. Auch davon profitiert der Boden, wie das Projekt in Rottenburg zeigt: Eine verbissene Pflanze passt nach dessen Ergebnissen ihre Wurzelmasse an die geringere Blattmasse an und stößt dazu einen Teil der Wurzeln ab. Die wiederum dienen etwa Regenwürmern als Futter, werden verstoffwechselt und verwandeln sich in Humus. Ein simpler wie effektiver Kreislauf. Später im Jahr helfen die Schafe, die Rebstöcke auszuputzen und die Traubenzone zu entblättern – eine Arbeit, die man per Hand kaum akribischer und effektiver erledigen kann. Allerdings müssen die wolligen Tiere rechtzeitig vor Reifebeginn aus dem Weinberg geholt werden. Sobald die Trauben süß und aromatisch werden, sind sie auch für Schafe ein Leckerbissen.

Allerdings fallen auch zusätzliche Arbeiten an - etwa das Scheren der Tiere und das Umziehen in andere Weinberge. Auf Tablas Creek gönnt man sich den Luxus eines Schäfers, der sich um alles kümmert. Das kann sich nicht jeder leisten. „Die Schafbeweidung ist recht intensiv. Tiere brauchen Pflege und ein gewisses Maß an Flexibilität“, weiß auch Jean Raphael Buscher. Dazu kommen Anschaffungskosten für den Grundbestand der Herde, Investitionen in mobile Elektrozäune, einen Unterstand, zusätzliches Futter im Winter und Tierarztkosten.

Schafhaltung ist ausgerechnet für Bio-Winzer ungeeignet

Weidehaltung in den Reben erfordert zudem Anpassungen im Pflanzenschutz. Kupfer beispielsweise ist für Schafe hochtoxisch - für bio-zertifizierte Weingüter ist die Schafhaltung also oft keine Alternative. „Wir achten sehr auf die Toxizitätswerte der Pflanzenschutzmittel und verzichten auf Kupfer. Die Bio-Zertifizierung ist für uns also ausgeschlossen. Das ist schon etwas paradox“, findet auch Jean Raphael Buscher.

Ganz nebenbei haben die Schafe weitere positive Effekte im Weinberg, wie die Ergebnisse in Rottenburg zeigen. Die Acker- und Zaunwinden gehören zu den bevorzugten Beikräutern der Vierbeiner - und eines Schädlings: der Winden-Glasflügelzikade. Sie überträgt die Schwarzholzkrankheit, eine Vergilbungskrankheit, die den Rebstock im schlimmsten Fall absterben lässt. Mit dem Abgrasen der Wirtspflanzen helfen Schafe, den Befall mit der Schwarzholz-Krankheit zu verhindern.

Dazu liefern die Tiere Wolle und Fleisch. Auf Tablas Creek gibt es Kooperationen mit Restaurants, die das Fleisch übernehmen, die Wolle lässt sich zudem weiterverarbeiten. Oder aber im Weinbau einsetzen: Vor dem Pflanzen um die Wurzeln junger Reben gewickelt, dienen sie als Wasserspeicher, der in trockenen Sommern den Jungpflanzen das Überleben sichern kann.

Ob in Kalifornien, der Champagne oder Rheinhessen – bei aller Arbeit und Intensität, die der Einsatz von Schafen erfordert, gehen die positiven Effekte weit über den Nutzen hinaus. „Wir haben ein anderes Gefühl für die Natur bekommen, beschäftigen uns anders mit der Vegetation und ihren Besonderheiten. Das Beobachten und Leben mit den Tieren lässt uns gelassener reagieren“, zieht Jean Raphael Buscher sein Fazit. „Es hat unsere Erwartungen weit übertroffen, und es macht einfach Spaß“, ist auch Jason Haas begeistert. Und das gilt auch für Felix Prinz zu Salm und seine Galloways: „Die Ruhe, die sie ausstrahlen und das Zurück zur natürlichen Bewirtschaftung ist absolut faszinierend und bereichernd.“

Das Forschungsprojekt der FH Rottenburg kann man in der Dokumentation der 3Sat-Wissenschaftssendung "Nano" (auf Deutsch) kennenlernen.

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Fotos:  © Moët Chandon,  © Weingut Prinz Salm

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