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Apulien ist kein einheitliches Ganzes, sondern ein fast 400 Kilometer langes Gebiet, in dem nicht nur sehr verschiedenartige Weine entstehen, sondern auch unterschiedliche Dialekte gesprochen und überall andere Gerichte zubereitet werden. Von „apulischem Wein“ zu sprechen, ist genaugenommen schon eine Falschaussage.

Das Schicksal der einzelnen Teile Apuliens, grob eingeteilt: Foggia, Bari, Taranto und das Negroamaro-Salento, muss getrennt betrachtet werden, will man die Region verstehen.

(Foto: Merum)

Apulien bietet nicht nur landschaftlich und weinbaulich erstaunliche Vielfalt, auf unserer Reise begegneten wir den interessantesten Menschen und den unterschiedlichsten Epochen angehörende Betriebsstrukturen, so dass uns unser Aufenthalt viel zu kurz vorkam.

Wir können nicht leugnen, dass uns ein Typ wie Francesco Liantonio (Torrevento) beindruckt hat. Seine blitzklare Intelligenz besticht einfach, seine Rede ist überzeugend, seine unternehmerischen Erfolge begeistern. Ein Unternehmer wie er, so stellen wir uns vor, würde jede Firma zum Erfolg führen.

Oder die Apollonio-Gebrüder und Paolo Cantele, ausgelassene, stets zu einem selbstironischen Scherz bereite Jungunternehmer… Sie zeigten uns die schönsten Seiten der Barockstadt Lecce und führten uns durch die Gassen der Salento-Hauptstadt zu Rosalba, in deren Lokal Alle due Corti wir am liebsten schon morgen wieder einkehren würden, um ihre einfachen, apulischen Gerichte zu genießen.

In Cutrofiano, im Süden des Salento, trafen wir unseren alten Freund Ninì – Cosimo Palamà  mit vollem Namen –, der mit seiner perfekt Zürichdeutsch sprechenden Frau Isa (die Apulierin hat ihre Kindheit in der Schweiz zugebracht) die ursprüngliche Fassweinkellerei der Familie zu einem der zuverlässigsten Weingüter Apuliens hochgearbeitet hat.

Am berührendsten jedoch war unser Besuch bei Vittorio Pichierri. Die Kellerei Vinicola Savese, die ihm und seinen Brüdern gehört, ist ein Stück Geschichte. Das genaue Gegenteil einer modernen Kellerei, mit Amphoren, in denen seit Jahrzehnten Primitivo reift, alten Fässern, unmodischen Etiketten, aber mit Weinen, die ungewohnte Tiefe besitzen, die bei Belüftung im Glas Geschichten erzählen, Weine, die aus einer anderen Zeit stammen und eigentlich unter Schutz gestellt werden müssten. Weine allerdings, die sich immer schlechter verkaufen.

Vittorio ist niedergeschlagen, es betrübt ihn, dass in der Weinwelt offenbar kein Platz mehr ist für ihn und seine Weine. Zum Abschied schenkt er uns eine Flasche Tradizione del Nonno, ein Primitivo di Manduria. Ziemlich betrübt verlassen wir die Kellerei und trinken die Flasche im Joe’s, einem kleinen Quartierlokal in Sava.

(Foto: Merum)

Die neue Zukunft Apuliens

Die Entwicklung, die sich derzeit in Apulien abzeichnet, ist überaus spannend. Bis vor dem Zweiten Weltkrieg gehörte das apulische Land Großgrundbesitzern. Nach der Enteignung von rund 190.000 Hektar (in Apulien, Molise und Basilikata) in den 50er- und 60er-Jahren wurde die Bearbeitung der Felder, Olivenhaine und Weinberge den ehemaligen Pächtern und Landarbeitern in Eigenregie übertragen. Die neugegründeten Kooperativen – Ölmühlen, Kellereien etc. – übernahmen die Ernte und bezahlten die Bauern aus.

Dieses neue System rottete an der Wurzel jegliches Unternehmertum aus und warf das Land in einen verhängnisvollen Dämmerschlaf, aus dem es nicht mehr erwacht ist. Heute sind die Trauben, der Weizen und die Oliven nichts mehr wert und die Bauern wieder in derselben Situation wie vor der Landverteilung.

Nur vereinzelten Produzenten geht es gut. Es sind Leute, die begreifen, dass Landwirtschaft ohne Selbstvermarktung nicht lebensfähig ist. Es sind landwirtschaftliche Unternehmer, die nicht Oliven und nicht Öl, sondern Flaschen und Kanister verkaufen, die nicht Trauben oder Fasswein, sondern Weinflaschen exportieren, die nicht Weizen zur Kooperative bringen, sondern Pasta vermarkten. Sie reisen viel, knüpfen Kontakte und begleiten ihren Wein in die Welt.

Apulien verändert sich rasch. Die Zeiten der unqualifizierten Weinproduktion sind vorbei, die Cantine Sociali stehen nutzlos herum, die Geräte verrosten, zwischen den Zementplatten ihrer Vorplätze sprießt Gras, am Eingangstor hängt vielleicht noch die verblichene Bekanntmachung der Liquidations-Generalversammlung.

Pietro Giorgiani (Nuova Santa Barbara): „In zehn Jahren wird im Salento nur noch die beste Qualität einiger weniger Privatkellereien erzeugt werden. Es wird sich immer deutlicher rauskristallisieren, wer marktgerecht arbeitet.“ Was vom apulischen Weinbau nach den Rodungsprämien und der natürlichen Selektion durch absolut unwürdige Traubenpreise übrigbleiben wird, sind ein paar Dutzend Weinunternehmen.

Meist sind es große Familienkellereien, ein paar kleine, selbstvermarktende Winzer, große Weingüter im Besitz norditalienischer Weinhäuser, wenige Genossenschaften. Sie überleben, weil sie einen direkten Kontakt zu den Märkten geschaffen haben, sie florieren, wenn sie es verstehen, richtig zu kommunizieren und eine Qualität anzubieten, die diese Märkte verlangen.

(Foto: Merum)

Eine ganze Reihe von Weinbetrieben wurde in den vergangenen Jahren von auswärtigen Weinunternehmern auf die Beine gestellt. Im Gegensatz zu den lokalen Produzenten beginnt die Denke bei ihnen nicht bei den Trauben, sondern bei der Nachfrage. Sie sitzen in Apulien, nicht weil das Schicksal es so wollte, sondern weil sie glauben, apulischen Wein mit Gewinn verkaufen zu können.

Alberto und Alfredo Falvo (Li Veli), die sich bereits als Gründer von Avignonesi im toskanischen Montepulciano einen Namen gemacht hatten: „In Apulien fehlt es an wichtigen Namen, die der Region etwas Glanz verleihen und dementsprechend die Nachfrage steigern. In Sizilien hat beispielsweise Planeta viel bewirkt, in Apulien gibt es ein solches Weingut nicht. Diese Situation war für uns natürlich verlockend, es ist eine große Herausforderung, in einen Markt einzusteigen, auf dem die Würfel noch nicht gefallen sind. Die Einheimischen haben unsere Investition nicht argwöhnisch und negativ betrachtet. Im Gegenteil, sie waren sogar stolz, dass eine toskanische Familie ihr Land liebt. Apulien verfügt über ein großes Potenzial, und manche Produzenten haben in den letzten Jahren sehr hart gearbeitet, um ihre Qualität zu verbessern. Wir beobachten ein großes Interesse an apulischen Weinen. Mit fairen Preisen kann der Qualitätswein der Region großen Erfolg haben.“

Diese, nach modernen Marktregeln arbeitenden Unternehmen decken ihren Weinbedarf nicht wie früher hauptsächlich durch Zukauf von Jungwein bei den Cantine Sociali, sondern sie pflegen und pflanzen eigene Weinberge. Nur so können sie die Qualität sicherstellen, die ihre Kunden von ihnen erwarten. In Apulien werden nur noch Weinberge Bestand haben, deren Trauben einem vorbestimmten Zweck, einem Etikett entgegenreifen. Weinberge ohne konkrete, kommerzielle Aufgabe werden verschwinden.

Marcello e Massimiliano Apollonio: „Wir setzen uns gegen die Rodung der Alberello-Weinberge ein. Mit dieser Erziehungsform erntet man maximal 6.000 Kilo pro Hektar, und verständlicherweise kommen viele Bauern damit nicht über die Runden, aber die Qualität ist einzigartig. Ihre Bearbeitung ist aufwendig und kostspielig, da diese Rebberge nicht mechanisierbar sind, alle Arbeiten müssen von Hand erledigt werden. Um nicht irgendwann ohne Traubenlieferanten dazustehen, müssen wir Rebberge kaufen. Sonst riskieren wir tatsächlich, für unsere Weinproduktion bald mal keine Trauben mehr zu bekommen.“

(Foto: Merum)
Apulien und sein Wein haben eine Zukunft. Wer diese allerdings an der Vergangenheit der letzten Jahrzehnte misst, wird enttäuscht sein. Auch wenn dies wohl nicht bewusst herbeigeführt wurde, scheint Apulien diese Jahre offensichtlich von der Moderne eingeholt zu werden. Viel von dem, was wir mit apulischem Wein in Verbindung bringen, müssen wir vergessen. Dazu gehört, die Überproduktion, die subventionierten Kellereigenossenschaften, gewisse, charakteristisch verkochte Weintypen und – da die Erzeugung von Qualitätswein in Apulien kaum weniger als in Norditalien kostet – die Spottpreise.

Apulien muss sich vom Image des preisgünstigen Anbieters lösen und Weine anbieten, die auf Grund ihres Charakters und immer weniger ihres Preises wegen attraktiv sind.

Das Weinland Apulien wird erwachsen, es verdient unsere Aufmerksamkeit und unser Verständnis. Paolo Càntele: „Mein größter Wunsch ist, dass der Name Apulien irgendwann in einem Zug mit Toskana und Piemont genannt wird. Unser Image muss besser vermarktet werden. Die Produzenten müssen noch mehr an ihrer Qualität arbeiten, aber wir sind auf dem guten Weg.“

Südweine und „Nordweine“

Der Primitivo von Manduria reift zwischen Ende August und Anfang September, der Primitivo von Gioia del Colle von Ende September bis Mitte Oktober, der Negroamaro Mitte September, der Nero di Troia (Castel del Monte) von Ende September bis Mitte Oktober.

Der Reifeverlauf einer Traube ist entscheidend für den Weintyp. Der Nero di Troia von Nordapulien reift wie norditalienische Sorten erst Ende September, manchmal sogar erst Mitte Oktober. Dadurch werden elegantere und frischfruchtigere Weine möglich als im Salento mit Negroamaro und Primitivo, weil die Trauben während der Hochsommerhitze noch nicht reif sind und die Aromen dadurch bewahrt werden. Im kühleren Klima Nordapuliens gedeihen weder Primitivo noch Negroamaro, da sie auf heiße, trockene Sommer angewiesen sind. In den vergangenen Jahren stellten deshalb die August-Niederschläge für die Weine des Salento, insbesondere für den dünnhäutigen Primitivo, ein großes Problem dar.

Castel del Monte wird von rund einem Dutzend Produzenten abgefüllt. Ein Schwachpunkt dieser Appellation ist die Vielfalt der Weine, die unter dieser Bezeichnung angeboten werden. Dass es also nicht einen Castel del Monte gibt, sondern eine Vielzahl von Typologien – Rotweine, Weißweine und Rosé aus rund einem Dutzend Traubensorten – macht jede Kommunikation schwierig.

Es sind zum Glück Änderungen in Sicht, auch auf den Etiketten. Zusätzlich zum Appellationsnamen soll künftig auch der Name der Rebsorte genannt werden müssen. Conte Onofrio Spagnoletti Zeuli: „Leider wird unter der Bezeichnung Castel del Monte alles zusammengefasst, auch die internationalen Rebsorten, die mit Apulien nichts zu tun haben. Man hätte viel früher die Rebsorte Nero di Troia in den Mittelpunkt stellen sollen.“

(Foto: Merum)

Francesco Liantonio von Torrevento ist auch Präsident des Konsortiums Castel del Monte: „Wir wollen erreichen, dass alle internationalen Rebsorten aus dem Produktionsreglement gestrichen werden. Kein Cabernet, Merlot oder Ähnliches mehr in der Appellation Castel del Monte! Ich bin fest der Überzeugung, dass eine Appellation einen Wein haben muss, über den sie sich identifiziert. Nur dann kann man sie kommunizieren. Die neue Appellation Castel del Monte wird auf dem Nero di Troia basieren, diese Sorte repräsentiert unser Territorium. Für diesen Wein werden wir auch die DOCG-Zertifizierung erhalten. Wir Produzenten müssen für Transparenz und Klarheit sorgen.“

Der Negroamaro wird rar

Von Norden her kommend betritt man bei Brindisi die Heimat des Negroamaro, die Halbinsel Salento. Die Sorte wird ausschließlich hier, in den Provinzen Lecce sowie im südlichen Teil von Brindisi angebaut. In der dritten Salento-Provinz, Taranto, ist Primitivo die vorherrschende Sorte.

Bis in die 80er-Jahre hinein war das Salento von einem einzigen Rebenmeer bedeckt. Verschlungene Bäumchenreben (Alberello) wie in Pachino oder am Ätna in Sizilien, in Südfrankreich oder Châteauneuf-du-Pape waren hier üblich. Diese Erziehungsart ist sehr arbeitsaufwendig, ergibt geringe Erträge, jedoch besonders gute Trauben.

Dass das Salento heute ein Weinland ist, verdankt es der Tatsache, dass vor hundert Jahren Frankreichs Weinberge durch die Reblaus stark dezimiert worden waren. Vor 1920 gab es in Apulien nur wenig Weinbau, man betrieb die übliche Gemischtwirtschaft, säte Korn unter den Olivenbäumen und baute etwas Wein an.

Die Nachfrage aus Frankreich löste in vielen Teilen Süditaliens, insbesondere aber im armen Salento, ein enormes Pflanzfieber aus. Tatsächlich brachte der Wein der Landbevölkerung in den darauffolgenden Jahren etwas Wohlstand. Doch Apuliens Blüte als Weinland dauerte nicht lange, schon in den 30er-Jahren klang die Nachfrage aus Frankreich ab, da dort die eigenen Neuanlagen in Produktion gingen. Gleichzeitig brachten die internationalen politischen Verhältnisse den Export in andere Länder zum Erliegen.

(Foto: Merum)

Der kurze Boom verwandelte sich rasch in eine Notlage, die lokalen Kellereien wussten plötzlich nicht mehr wohin mit dem Wein und weigerten sich, den Bauern die Trauben abzunehmen.

Das Land gehörte damals Großgrundbesitzern, die über immense Latifundien von 10.000 und mehr Hektar verfügten und die Landwirtschaft von einer Vielzahl kleiner Halbpächter besorgen ließen. In den 40er-Jahren, vor allem aber in den 50ern und 60ern fand eine große Landverteilung statt, und zeitgleich wurden vom Staat geförderte Kellereigenossenschaften gegründet.

Mit der Übernahme der Weinproduktion durch die vermarktungsbehinderten Cantine Sociali wurde das Schicksal Apuliens als Offenweinlieferant besiegelt. Die Genossenschaftskellereien garantierten den Bauern zwar die Abnahme der Trauben, sie waren jedoch nicht in der Lage, für den Wein einen besseren Markt zu finden als die Kellereien Mittel- und Norditaliens. Keine Rede also von Marketing oder weitsichtigen Absatzstrategien. Man vinifizierte der Mitglieder Trauben und ließ den Wein zum Tagespreis nach Norden „abfließen“.

Als die Nachfrage nach Verschnittwein im Norden dank der Einführung der DOCG und schärferen Kontrollen immer geringer wurde, zerfielen die Fassweinpreise und damit das Traubengeld. Die Keller waren zum Bersten voll. Die subventionierte Mostkonzentrierung und die Zwangsdestillation konnten die Folgen der Überproduktion nur geringfügig lindern. Als dann 1988 die Rodungsprämien eingeführt wurden, begann der große Kahlschlag in den apulischen Rebbergen.

Allein von 1982 bis 1990 hatten in Süditalien 233.000 Winzer ihre Weinberge aufgegeben, in Apulien hängten vor allem im Salento rund 50.000 Winzer gleich bei der Einführung der Rodungsprämien ihren Beruf an den Nagel, und der größte Teil ihrer Kollegen folgte ihrem Beispiel in den folgenden Jahren.

Und das Rebensterben hält weiter an: „Noch 2009 wurden in Apulien dank der EU-Rodungsprämien 6.000 Hektar Rebberge gerodet“, bedauert Alessandro Candido, „2010 waren es sogar 6.500 Hektar und für 2011 werden weitere 5.000 Hektar erwartet.“

In der Provinz Taranto wurden weniger Rebberge gerodet als in Brindisi und Lecce. Das liegt vor allem daran, dass für Primitivo-Trauben mehr bezahlt wird als für Negroamaro. Dass die Situation jedoch auch hier dramatisch ist, zeigt die Tatsache, dass kürzlich beide Cantine Sociali von Sava dichtmachen mussten.

Als Folge der ausbleibenden Trauben ging eine Cantina Sociale nach der anderen Pleite. Meist blieben sie ihren Mitgliedern dabei das Traubengeld mehrerer Jahre schuldig. Von den ursprünglich 170 Cantine Sociali Apuliens haben bis heute nicht viel mehr als ein gutes Dutzend überlebt.

(Foto: Merum)

Noch 1987 brachte Apulien 1.300 Millionen Liter Wein hervor. Heute erzeugt die Region gerade noch die Hälfte davon. Das Ziel der EU-Kommission, den Weinüberschuss in den Griff zu kriegen, scheint erreicht.

In Wirklichkeit führten die Rodungsprämien in erster Linie zur Aufgabe ertragsschwacher, also unrentabler, qualitativ aber hochwertiger Weinberge im Salento. In Nordapulien hingegen florierten bewässerte, gedüngte Intensivanlagen mit geradezu obszönen Erträgen minderwertigen Traubengutes – man spricht von 50, 60 Tonnen pro Hektar und mehr.

Alessandro Candido: „Gerodet wurden Rebberge mit niedrigen Hektarerträgen. Nur für diese Bauern empfiehlt sich die Rodung. Die Besitzer von Anlagen mit Höchsterträgen kommen auch bei tiefen Traubenpreisen über die Runden.“

Das erklärt, weshalb von der früheren Negroamaro-Anbaufläche so wenig übriggeblieben ist. Nicht mehr nur Reben und Oliven prägen das moderne Bild des Salento, sondern auch weites Brachland, Treibhäuser und großflächige Fotovoltaikanlagen.

Ende für Billigwein aus Apulien

Stefano Garofano (Azienda Monaci): „Als ich ein kleiner Junge war, bestand das Salento aus einem einzigen Rebenmeer. Heute gleichen die Weinberge immer mehr Inseln. Viel liegt heute brach, zahlreiche Rebberge wurden durch Treibhäuser oder Obstplantagen ersetzt. Der Grund dafür ist der fehlende Generationenwechsel. Meine Altersgenossen wollen einen Job, der ihnen ein gewisses Einkommen garantiert, Weinbau kann das nicht.“

Pietro Giorgiani (Nuova Santa Barbara): „Die Trauben werden immer weniger, immer mehr Bauern roden ihre Rebberge. Dadurch können die Kellereigenossenschaften ihre Anlagen und Keller nicht mehr betreiben, denn sie wurden ursprünglich ja auf riesige Mengen ausgelegt. Die Bauern wissen nicht, wie sie überleben sollen, denn die Preise fallen immer mehr, und die Konkurrenz wird immer erbarmungsloser. Man kann keine Trauben für 18 Cent pro Kilo produzieren. Das ist nicht möglich.“

Zum niedrigen Traubenpreis kommt für die Winzer erschwerend hinzu, dass die Kellereigenossenschaften das Traubengeld meist erst nach zwei oder drei Jahren ausbezahlen, wenn überhaupt.

Donato Lazzari (Vallone): „Die Bauern sind gezwungen, ihre Rebberge zu roden und an deren Stelle Fotovoltaik-Anlagen zu errichten. Sie tun das nicht gerne, welcher Bauer opfert schon gerne sein Land der Technik?“

(Foto: Merum)
Pietro Giorgiani (Nuova Santa Barbara): „Wie kann ich als Vater meinem Sohn raten, weiterhin die Rebberge zu bewirtschaften? Ich kann ihn doch nicht in den Ruin treiben.”  Jungwinzer Gabriele Buccoliero (Galenos): „Meine Altersgenossen wollen mit Landwirtschaft nichts mehr zu tun haben und noch weniger sich die Hände schmutzig machen. Sie träumen von einem bequemen Bürojob mit sicherem Verdienst. Während die Hörsäle der Fakultäten von Betriebswissenschaft und Jura überfüllt waren, war meine Fakultät Önologie in Foggia schwach besucht.“

Vittorio Pichierri: „Für gute Primitivo-Trauben bezahle ich rund 60 Cent das Kilo. Aber die Hektarerträge sind sehr niedrig, zwischen 6.000 und 7.000 kg pro Hektar. Verkaufe ich meinen Wein an Abfüller, bekomme ich vielleicht 1,20 oder 1,50 Euro pro Liter DOC-Wein und 70 bis 80 Cent für einen IGT-Wein.“

Ernesto Soloperto: „Die Weinbergsparzellen sind hier im Primitivo-Gebiet sehr klein. Die größten sind gerade mal ein Hektar groß und werden meist von Bauern im Rentenalter bewirtschaftet. Dieser eine Hektar bringt ihnen so gut wie nichts ein bei den heutigen Traubenpreisen.“

Marcello und Massimiliano Apollonio: „Ein Traubenbauer müsste rund 10.000 Euro pro Hektar verdienen, damit es sich für ihn lohnt.“ Alessandro Candido meint, die Bauern kämen schon mit 6.000 Euro über die Runden. Tatsache ist jedoch, dass für Negroamaro-Trauben von Privatkellereien zwischen 30 und 40 Cent bezahlt werden, was bei einem Hektarertrag zwischen 7.000 bis 9.000 Kilo einen Hektarverdienst zwischen 2.100 und 3.600 Euro ergibt. Auch die Primitivo-Bauern von Sava und Manduria schaffen es nur mit Mühe auf 4.000 Euro pro Hektar. Wen wunderts, dass die Bauern die erstbeste Möglichkeit ergreifen, die Reben auszureißen?

Stefano Garofano (Azienda Monaci): „Seit circa anderthalb Jahren ist der Fassweinpreis spürbar zurückgegangen. Es herrscht weniger Nachfrage seitens der Abfüller.“

Donato Lazzari (Vallone): „Die Fassweinpreise leiden stark unter der Konkurrenz aus der Neuen Welt. Mit diesen Preisen können wir einfach nicht mithalten. Es kommt sehr viel Wein aus Übersee nach Apulien und macht die Preise kaputt. Nachdem die Rebfläche in den letzten Jahren stark zurückgegangen ist, hätten die Preise für Trauben und Fasswein eigentlich wieder steigen müssen, aber dies ist nicht der Fall. Als die großen Abfüller und Kellereien aus dem Norden keinen Bedarf mehr an apulischen Weinen zum Verschneiden hatten, brach das System zusammen. Trotz der stark gesunkenen Produktionsmengen gibt es immer noch zu viel Wein in Apulien. Der Fassweinpreis für den Negroamaro DOC liegt bei rund 50 Cent pro Liter. Das ist definitiv zu wenig. Das Verrückte ist doch, dass auch die schlechten apulischen Weine noch höhere Produktionskosten haben als mittelmäßige Weine aus Übersee, die mit großen Schiffen nach Livorno oder Triest gebracht werden.“

Tatsächlich macht die Billigkonkurrenz aus Übersee vor allem dem untersten Preissegment zu schaffen. Sebastiano de Corato (Rivera): „Paradoxerweise sind von der generellen Absatzkrise vor allem unsere günstigen Weine betroffen, denn diese sind immer noch 30 Prozent teurer als die unserer Mitbewerber. Ich sehe im Ausland vor allem Potenzial für mittel- und hochpreisige apulische Weine.“  Marcello und Massimiliano Apollonio: „Wenn Absatzkrise herrscht, verkaufen wir unsere teuren Weine besser als unsere günstigere Linie. Diese ist momentan nicht mehr wirklich konkurrenzfähig.“

(Foto: Merum)

Der Grund für tiefe Traubenpreise und geringe Fassweinpreise ist stets ein Angebotsüberhang. Sorgten in der Vergangenheit die apulischen Winzer selbst für die Überproduktion, dann besorgen das heute die Importeure von Massenweinen aus Übersee für sie. Wer heute in Apulien Trauben oder Offenwein verkaufen muss, legt drauf.

Auch mit der Vermarktung von Billigwein lässt sich nichts mehr verdienen, denn die neue Konkurrenz lässt sich nicht unterbieten. Francesco Winspeare (Castel di Salve): „Mich kosten 100 kg Trauben zwischen 39 und 55 Euro. Wie kann ich da einen Liter Fasswein für 35 Cent verkaufen? Ich verliere dabei richtig Geld. Wir kommen nur auf schwarze Zahlen, wenn wir Flaschenqualität erzeugen.“

Unangenehm für die Qualitätsproduzenten ist auch, dass ihnen überall Billigware aus der eigenen Region in die Quere kommt. Damiano Calò (Rosa del Golfo): „Der Großteil des apulischen Weines im Ausland stammt nicht von hier angesiedelten Erzeugerbetrieben, sondern von großen Abfüllern in Norditalien. Die Kellereigenossenschaften verschachern Negroamaro oder Primitivo zu unmöglichen Preisen an diese, weil sie nicht wissen wohin damit. Und so kommt es, dass dann Negroamaro in Deutschland für 1,79 Euro die Flasche auftaucht.“

Unternehmergeist gefragt

In Foggia und im nördlichen Teil der Provinz Bari florieren der Anbau von Tafeltrauben und die Massenweinproduktion. Einige Qualitätsproduzenten gibt es auch hier, das Land ist aber fruchtbar und ergibt Hektarerträge, die auch bei geringen Traubenpreisen noch lohnend sind.

Ungleich interessanter sind die Weine der Appellation Castel del Monte in der Provinz Andria. Nicht nur der hier heimische Nero di Troia ergibt tolle Weine, auch Aglianico und Montepulciano gehören zu den zugelassenen Trauben des Castel del Monte DOC.

Die Appellation prosperiert dank einer kleinen Handvoll sehr aktiver Weinbetriebe: der Klassiker Rivera, der Senkrechtstarter Torrevento, der Kleinbetrieb Santa Lucia, dem Grafen Spagnoletti Zeuli und seit einigen Jahren Antinori mit Tormaresca.

Vielleicht hängt es damit zusammen, dass der Betrieb in der renommierten Appellation Castel del Monte liegt, sicher aber zeigt der für Apulien sehr untypische Erfolg von Torrevento, was energisches Unternehmertum vermag. Francesco Liantonio, Sohn einer wohlhabenden Winzerfamilie und ehemaliger Dozent für Kommunikation und Marketing, füllte seine erste Flasche Wein 1994 ab. Nach 16 Jahren lag die unter der Eigenmarke Torrevento vermarktete Weinmenge bereits bei 2,5 Millionen Flaschen. Dazu kommen noch „ein paar Millionen Flaschen“  mit Kundenlabels.

Und weil er es satt hatte, den Weizen von den Feldern der Familie zu Weltmarktpreisen dem Großhandel zu überlassen, lässt er diesen unter der Eigenmarke Altigrani zu qualitativ hochwertiger Pasta verarbeiten.
Die Apulier bemitleiden sich gerne selbst, wenn die Rede auf die desolate Situation ihrer Landwirtschaft kommt. Außer dem dramatischen Mangel an Unternehmertum gibt es aber wenige Gründe, weshalb es Apulien schlechter gehen sollte als beispielsweise der Toskana.

Die natürliche Qualität der Trauben, der Oliven und anderer Geschenke der Natur ist hier so hoch wie anderswo. Im Gegenteil, der Geschmack der Früchte, der Pasta, der Käsesorten, der Gemüsearten, des guten Olivenöls scheint hier sogar noch intensiver als anderswo. Leider gelingt es nicht, diesen Vorsprung zu sichern, ihn zu vermarkten und damit ein positives Image zu begründen.

Die Feststellung von Donato Lazzari (Vallone) hört man immer wieder: „Ein großes Problem in Apulien ist der fehlende Unternehmergeist, und das nicht nur in der Landwirtschaft. Unsere Jungen, die ihr Studium an einer Universität Norditaliens absolvieren, kehren meistens nicht wieder zurück.“

In den Gesprächen mit den Winzern äußern manche, dass die Politik nichts unternehme, um Apulien im Ausland bekannter zu machen. Man beschwert sich, dass die „Marke Apulien“  im Gegensatz zur „Marke Sizilien“ vergleichsweise unbekannt ist und fordert staatliche Förderung der Kommunikation.

An die Wirksamkeit staatlicher Kommunikationsarbeit kann man glauben oder nicht… Sicher hätten die Verantwortlichen von Politik und Verwaltung vor der Kommunikation wohl erst in die Orts- und Landschaftsplanung Apuliens investieren sollen.

Wie vielerorts in Italien unterliegt die Vergabe von Baubewilligungen Regeln, die ganz bestimmt nicht von öffentlichem Interesse diktiert sind. Marcello e Massimiliano Apollonio: „Hier wird überall wild gebaut, es gibt bald kein Ackerland mehr. Auch die Küsten sind kaputt gemacht worden, weil ohne Genehmigung hässliche Zementklötze aufgestellt wurden.“

Abgesehen von einzelnen Oasen, der Stadt Lecce zum Beispiel, der Küste südlich von Otranto, der Hügel von Castel del Monte, hat man in Apulien mit Erfolg versucht, die Schönheit möglichst vieler Landschaften hinter zementierter Hässlichkeit zu verstecken.

Ja, auch das ist Apulien. Hässliches steht unmittelbar neben Sehenswertem. Wie überall in Süditalien. Doch dem Reisenden bleiben nur die schönen Eindrücke in Erinnerung, und davon gibt es unzählige. Wir können unseren Lesern nur wünschen, dass der Weg sie mal nach Lecce, zum Castel del Monte oder quer durch die Landschaften zu einem der lebendigen Fischerhäfen an der 800 Kilometer langen Küste führt.

Apulien-Steckbrief

Apulien ist Süditalien, und Süditalien erkennt man unter anderem daran, dass sehr Schönes und sehr Hässliches erschreckend nahe beieinanderliegen. Wunderschön sind die alten Weinparzellen mit ihren verschlungenen Alberello-Weinstöcken, die Landschaften und Orte an der Ostküste von Polignano a Mare bis hinunter nach Santa Maria di Leuca oder das Hinterland von Bari mit der Murge-Hochebene, die alten Olivenbäume, die furchigen Gesichter der vor der Dorfbar sitzenden Alten, die Fischerhäfen, das Meer... Hässlich sind die wilde Zersiedelung, die unkontrollierte Zementierung, die verendende Landwirtschaft.

Apulien war lange Zeit das Weinfass Italiens. Heute fährt man quer durch das Salento und fragt sich, wo all die Reben hingekommen sind und wovon all die Menschen leben, die dieses Rebenmeer bis vor der Einführung der Rodungsprämien vor 23 Jahren bearbeitet hatten.

Apulien ist lang. Von Marina di Chieuti an der nördlichen Grenze zur Region Molise bis Santa Maria di Leuca ganz im Süden sind es über 400 Autokilometer und rund fünf Stunden Fahrt.

Apulien erbringt überaus unterschiedliche Weine. Schwere, überreif-fruchtige, gleichzeitig herbe, säurereiche Negroamaro im Salento, superkonzentrierte, alkoholreiche, oft süße Primitivo aus Taranto, zarte Weiße aus dem Itriatal, kernig-herbe, kirschenfruchtige, manchmal elegante Nero di Troia von Castel del Monte (Bari) sowie – neben wenigen Qualitätsweinen – Massenweine aus den fruchtbaren Ebenen Nordapuliens (Foggia).

Apulien bietet dem Freund guten Essens alles, was sein Herz begehrt: die unvergessliche Burrata von Andria, Hartweizen-Pasta in allen, herrlichen Variationen, bestes Coratina-Olivenöl aus der Provinz Bari, Fische vom Hafen direkt auf den Teller, einzigartiges Brot, schmackhafte Gemüse…

Apulien war früher von einem überaus gastfreundlichen und sympathischen Menschenschlag bevölkert! Daran hat sich zum Glück nichts geändert: Die Apulier gehören mit zum Besten, was Apulien zu bieten hat!

 

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